Medienimpulse - Call 2/2020
Nähe(n) und Distanz(en) in Zeiten der COVID-19-Krise
Die Wissens- und Informationsgesellschaften befinden
sich derzeit angesichts von COVID-19 in einer
gesundheitspolitischen, ökonomischen und
(medien-)pädagogischen Krise. Quasi über Nacht hat
sich die (Um-)Welt sozial und medial
verändert. Wir erleben und gestalten aufgrund eines
‚Mikro-Organismus‘ und den daraus resultierenden
politisch-institutionellen Entscheidungen auch auf der
(globalen) gesellschaftlichen Makroebene grundlegende
Transformationen.
Diese Situation hat neue Verhältnisse zwischen Nähe(n)
und Distanz(en) hervorgebracht und auch die allgemeine
und berufliche Bildung in vielerlei Hinsicht in eine
digitale Welt katapultiert, deren Entstehung von
Medienpädagoginnen und -pädagogen von Anfang an
begleitet wurde. Annähernd alle Menschen müssen unter
diesen schwierigen Bedingungen die Tagesroutine
aufrechterhalten, wobei gerade aus medienpädagogischer
Perspektive mit Home Schooling, Homeoffice,
Web-Conferencing usw. das Distant
Learning nun zu einem drängenden Gegenstand der
allgemeinen und beruflichen Bildung wird. Laptop,
Tablet, E-Book-Reader, Headset und Webcam finden
nunmehr auf breiter Ebene Verwendung und führen zu
abgeänderten Tagesabläufen und digitalen Formen von
Kommunikation und Kollaboration. Dies betrifft auch im
Rahmen eines demokratiepolitisch sehr bedenklichen
Ausnahmezustands die gesamte Weltbevölkerung. Dadurch
ändert sich der soziale und mediale Alltag
grundlegend, denn bis dato war kaum so deutlich, dass
Lebenswelten Medienwelten und Medienwelten
Lebenswelten sind.
Krisen sind demgemäß aber immer auch Wendepunkte, die das (epochale) Ende von etwas und einen möglichen Neuanfang markieren. Zwischen Kritik und Krise (Reinhart Koselleck) steht mithin gerade jetzt unser Werte- und Normsystem wie unsere soziale, wirtschaftliche und (medien-)pädagogische Ordnung insgesamt zur Diskussion. So sieht etwa Ulrich Oevermann in der Krise vielmehr die „Routine“ als den Ausnahmefall. Folgt also dem Stillstand eine Neuordnung unserer sozialen und medialen Räume? Sicher ist, dass wir Zeit brauchen werden, bis wir die Irritationen der eigenen Orientierungssysteme kreativ neugestaltet haben. Dabei ist das Leben angesichts der COVID-19-Pandemie auch vom Schlagwort der Distanz(en) geprägt, seien es nun räumliche, soziale, emotionale oder eben (medien-)pädagogische Distanz(en). Doch ergeben sich angesichts der Einschränkungen auf Grund der COVID-19-Pandemie noch weitere Probleme? Stellt die digitale Kommunikation insbesondere im Bereich des Distant Learning auch neuartige Formen der (digitalen) Nähe(n) her?
Insgesamt steht Medienpädagoginnen und -pädagogen mit Dieter Baacke nunmehr erneut vor Augen, dass gesellschaftliche Systeme gerade dann, wenn sie in eine Krise stürzen, nur durch kommunikative Kompetenz verändert werden können. An der kritischen Grenze eines wirtschaftlichen Systems oder einer gesellschaftlichen Struktur wird deren Instabilität nur allzu deutlich. Könnte dann nicht angenommen werden, dass aufgrund der aktuell geänderten medialen Kommunikation – und die dadurch einhergehenden kommunikativen Kompetenzen – auch die gesellschaftlichen Systeme und insbesondere das allgemeine und berufliche Bildungssystem insgesamt einer Veränderung unterworfen sind bzw. unterworfen werden können?
Aus all diesen Gründen hat sich die Redaktion der MEDIENIMPULSE entschlossen, die zweite Ausgabe des Jahres 2020 – ob der Brisanz und Aktualität des Themas – dem Problemfeld von >Nähe(n) und Distanz(en) in Zeiten der COVID-19-Krise< zu widmen. Wir stellen deshalb möglichst offen folgende Fragen in den Raum:
- Wie hat sich die Arbeit von
Lehrerinnen und Lehrern sowie Ausbildnerinnen und
Ausbildnern (aber auch von Medienschaffenden aus
Radio, Fernsehen, Journalismus etc.) durch die
COVID-19-Krise verändert? Wie stark wurden z. B.
Unterrichts- und Ausbildungspraktiken durch die
äußerst restriktiven Einschränkungen beeinflusst?
- Inwieweit sind in den privaten
Wohnungen sowie in den Schulen und
Ausbildungsstätten die technische Infrastruktur und
die notwendige Medienkompetenz für Distance
Learning und Distance Research
vorhanden? Welche medienpädagogischen
Herausforderungen stellen sich für die allgemeine
und berufliche Bildung angesichts dieser erweiterten
Digitalisierung (z. B. Suchmaschinen, digitale
Findemittel, Repositorien)?
- Welche explizit medienpädagogischen
Experimente wurden unternommen, um den Unterricht an
die Notwendigkeiten anzupassen und wie gehen
insbesondere aus medienpädagogischer Perspektive die
unterschiedlichsten Lehrkörper mit
Materialbereitstellung und Beurteilung um? Welche
kreativen Gestaltungen wurden als Antwort auf die
entstandenen Freiräume entwickelt?
- Welche (Medien-)Kompetenzen haben die
Akteurinnen und Akteure in der österreichischen
Bildungslandschaft seit März 2020 gewonnen und
welche bestehenden haben sich bewährt?
- Konnte die COVID-19-Pandemie
Innovationen in Bildungsinstitutionen – vom
Kindergarten bis zur Hochschule – auslösen oder ist
eher ein (medienpädagogischer) Backlash
(Schlagwort: Digital Divide) zu
verzeichnen?
- Welche Veränderungen zeigen sich
durch Distance Learning in Bezug auf die
digitale Kluft? Werden bestehende Ungleichheiten
verstärkt oder abgeschwächt? Welche Maßnahmen und
Hilfestellungen gibt es für Kinder und Jugendliche,
die durch Distance Learning kaum bis gar
nicht erreicht werden können?
- Welche empirischen und statistischen
Daten stehen uns bereits zur Verfügung, um diese
(auch medienpädagogische) Krise zu verstehen?
- Welche gesellschaftlichen Visionen prägen auf allgemeinster Ebene diese kritische und krisengebeutelte Zeit? Sehen wir zwischen pessimistischem Untergang und optimistischem Neuanfang eine Chance zu umfassender gesellschaftlicher Umgestaltung oder vielmehr die Realisierung lange schon befürchteter Dystopien.
Die Herausgeberinnen und Herausgeber dieser Schwerpunktausgabe sind
Alessandro Barberi, Universität Wien
(alessandro.barberi@medienimpulse.at)
Thomas Ballhausen, Literaturhaus Wien
(thomas.ballhausen@medienimpulse.at)
Nina Grünberger, Pädagogische Hochschule Wien
(nina.gruenberger@medienimpulse.at)
Katharina Kaiser-Müller, Universität Wien
(katharina.kaiser-mueller@univie.ac.at)
Alexander Schmölz, Österreichisches Institut für
Berufsbildungsforschung (öibf) und Universität Wien
(alexander.schmoelz@oeibf.at)
Josef Buchner, Universität Duisburg-Essen
(josef.buchner@uni-due.de)
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Neben der thematischen Schwerpunktsetzung können Beiträge für alle Ressorts der MEDIENIMPULSE eingereicht werden. Beiträge, die ein Peer Review-Verfahren durchlaufen haben, werden durch einen eigenen Vermerk kenntlich gemacht.
Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen und stehen selbstverständlich gerne für eventuelle Rückfragen zur Verfügung!
– Redaktionsschluss: 21. Mai 2020
– Erscheinungsdatum: 21. Juni 2020